A faire Milch

„A faire Milch“ wird nach 14 Jahren beendet

[Wien, 30. Juli 2020] Mit viel Hoffnung wurde am 18. Juli 2006 das Projekt „A faire Milch“ von der IG-Milch der Öffentlichkeit präsentiert. Große Aufmerksamkeit und ständig steigende Verkaufszahlen waren sehr motivierend und gipfelten in der Verleihung des Staatspreises für Marketing im Jahr 2006. „Heute müssen wir das Ende dieses Erfolgsprojektes bekannt geben.“

Nach der ersten großen Ausbreitung in Österreich von „A faire Milch“ ist es in Folge auch gelungen in sechs weiteren Ländern der EU dieses Projekt zu starten. Der Erfolg war unterschiedlich. Das jeweils politische Umfeld war ausschlaggebend, ob die „faire Milch“ sich ausbreiten konnte. Dort, wo sie systematisch behindert wurde, kam sie nicht wirklich in Schwung. Dort, wo sie unterstützt oder zumindest nicht behindert wurde, entwickelte sie sich zu einer Erfolgsgeschichte.

Der jetzt internationale Milchexperte und Bauer Ernst Halbmayr war nicht nur einer der Initiatoren, sondern auch von Beginn an Projektleiter: „In Österreich wurde dieses Bauern-Projekt am Anfang nicht ernst genommen. Spätestens nach der Verleihung des Staatspreises für Marketing wurde „A faire Milch“ unentwegt und systematisch behindert. Während am Anfang viele Aktionen, Verkostungen und Events mit großem Engagement und Freude von Bäuerinnen und Bauern durchgeführt wurden, war es in weiterer Folge praktisch unmöglich, diese Marketingaktivitäten fortzusetzen. Offene und versteckte Drohungen von den Molkereien zeigten ihre Wirkung. Die Gründung der ‚Freien Milch Austria‘ und das Stellen der Machtfrage, wer letztendlich über die Milch verfügt, haben Macht- und Abhängigkeits-Systeme zum Vorschein gebracht, die niemand für möglich gehalten hat.“

Der Obmann der IG-Milch Ewald Grünzweil: „Es wurden Absprachen unter den Molkereien getätigt, keine wechselwilligen Betriebe aufzunehmen. Das war für Bauern, die ihren Abnehmer wechseln wollten, praktisch eine gezielte Existenzvernichtung, denn jeder Bauer ist von der Milchabholung abhängig. Kritikern wurde der Ausschluss aus der Genossenschaft angedroht. Gleichzeitig wurden Schütt- und Strafgebühren eingeführt und die Direktvermarktung systematisch verhindert. Dazu kamen Vertragsänderungen in den Milchlieferverträgen, die jedem modernen Rechtssystem widersprechen. Zum Beispiel ist es vertraglich verboten, öffentlich über die Vertragsbedingungen zu reden. Daher haben wir uns entschlossen, das Projekt „A faire Milch“ einzustellen. Wir wollen die Öffentlichkeit über die wirklichen Zustände in der österreichischen Milchwirtschaft nicht länger täuschen.“

Ernst Halbmayr und Ewald Grünzweil: „Ein besonderer Dank gilt der Molkerei Seifried und der Pinzgau-Milch, die jahrelang unsere Projektpartner bei der Abfüllung der fairen Milch waren. Weiters bedanken wir uns bei unserem wichtigsten Partner im Lebensmittelhandel, nämlich SPAR. Sie alle waren neben der Pfeiffer Gruppe und der Kastner Gruppe verlässliche und faire Vertriebspartner. Einen kurzen Moment konnten wir den Bäuerinnen und Bauern die Zuversicht zurückgeben, für ihre Produkte faire Preise zu erhalten. Die Entwicklungen der letzten Monate und Jahre haben diese Hoffnungen nachhaltig zunichte gemacht. Die systematische Entwertung der landwirtschaftlichen Grundprodukte wie Milch, Fleisch, Getreide und Holz haben alle Zuversicht schwinden lassen und große Frustration, oft Verzweiflung mit sich gebracht. Der Druck der eigenen Genossenschaften im Milchbereich, die zum Schutze der Bauern gegründet wurden, hat jegliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft zerstört. Die Solidarität der Bauern wird gezielt durch die Liberalisierung und einer Freien-Markt-Lobby gegen sie selber angewendet. Von fairen Beziehungen auf Augenhöhe sind wir meilenweit entfernt.“

Es geht um Sippenhaftung

Während der Bauernbund und die Landwirtschaftskammer immer die christlichen Werte der Genossenschaft und deren Wichtigkeit für Bäuerinnen und Bauern betonen, betreibt man gleichzeitig und gezielt ein Bashing des Lebensmittelhandels. Der ständige Hinweis auf die Macht der Lebensmittelketten in Österreich ist eine bewusste Ablenkung von der eigenen Machtposition. Keine Handelskette hat eine annähernde Machtkonzentration wie die Berglandmilch mit 50 % des nationalen Milchaufkommens. Der besondere rechtliche Status einer Genossenschaft wird jedoch dazu verwendet, dass immer noch Dutzende Betriebe Strafzahlungen leisten müssen. Weiters werden die betroffenen Betriebe gezwungen, jedes Jahr um einen neuen Liefervertrag zu betteln. Dies gilt allerdings nur für Betriebe, die bei der Freien Milch Austria einen Liefervertrag hatten. Jetzt stellt sich heraus, dass diese Schuld auch auf die nächste Generation am Hof übergeht. Das ist Sippenhaftung und erinnert an ehemalige feudale Zeiten. Während in anderen Ländern sich Bäuerinnen und Bauern auf funktionierende Kartellgerichte und Wettbewerbshüter verlassen können, sind in Österreich diese ihren eigenen Genossenschaften schutzlos ausgeliefert.

Es geht um die systematische Behinderung der Direktvermarktung

Die COVID-Krise hat die Verletzlichkeit der globalen Versorgungssysteme deutlich aufgezeigt. Die heimische Landwirtschaft und ihre regionalen Produkte erleben große mediale Wertschätzung und großen Zuspruch. Vielen wurde bewusst, wie wichtig funktionierende Selbstversorgung und regionale Kreisläufe sind. Umso unverständlicher ist die neue Regelung der Ennstal-Milch, die durch neue Maßnahmen die Direktvermarktung verhindern und unwirtschaftlich machen will. Obwohl diese tourismusstarke Region genau diese Produkte für ihr Selbstverständnis benötigt, wird mit den neuen Regelungen keine Direktvermarktung wirtschaftlich möglich sein. Alleine dieser Beschluss wird dazu führen, dass keine neuen Betriebe einsteigen und bestehende unter Druck gesetzt werden. Fünf Cent Strafzahlung pro Liter Milch, wenn ein Bauer einmal im Monat unregelmäßig liefert, ist unverhältnismäßig und ein Eingriff in die Erwerbsfreiheit sowie das Entziehen der Verfügungsgewalt über die eigene Milch. Diese Eingriffe in Grundrechte dürfen nicht akzeptiert werden. Alleine der Versuch zeigt das direkte und absurde Abhängigkeitsverhältnis zwischen bäuerlichen Milcherzeugerbetrieben und ihren Genossenschafts-Molkereien. „Auf Augenhöhe“ ist dort ein Fremdwort. Diese direkte Abhängigkeit kommt einer Leibeigenschaft sehr nahe.

Was bleibt: Ein bitteres Resümee

A faire Milch ist eine starke Idee und eine starke Marke, die das Potenzial gehabt hätte, den Milchmarkt in eine positive Richtung für Bauern bis hin zu den Konsumenten zu entwickeln. Statt Überschüssen und Preistreiberei waren eine faire Produktion, eine faire Milch mit fairen Preisen und mehr Wertschöpfung für den ländlichen Raum das Ziel.

Zum Weltmilchtag 2020 wurde von der IG-Milch ein „Basis- und Richtungs-Manifest für eine klima- und mitweltgerechte Landwirtschaft“ präsentiert. In sieben Punkten wird der Umbau für eine zukunftsfähige Landwirtschaft aufgezeigt. Ein guter Fahrplan für eine faire Zukunft. Das bedeutet einen Umbau in Richtung Ökologisierung der bäuerlichen Lebenswelt und damit auch eine Entlastung der Bauern vom Leistungs- und Optimierungszwang. Die Natur ist für Landwirte keine industriell-technisch-chemische Produktionsstätte, sondern die ökologische Lebensbasis auf Generationen.

Link zum Basis- und Richtungsmanifest (Kurz- und Langversion):

https://www.ig-milch.at/basis-und-richtungs-manifest

Kontakte:

Ewald Grünzweil, Obmann IG-Milch, +43 664 2023869

Ernst Halbmayr, Projektleiter „A faire Milch“, +43 664 9249635