Vor einem Jahr war es soweit: Die Milchquote, die Mengenvereinbarung zwischen Bauern und Bäuerinnen und Molkereien, wurde zum 31. März 2015 abgeschafft. Seitdem ist auch die Milchproduktion auf dem freien Markt. PolitikerInnen und Molkereien sprachen von einem notwendigen Schritt und fantasierten, dass die Märkte aufnahmefähig und stabil seien. Bäuerinnen und Bauern, Umwelt- und EntwicklungsexpertInnen betrachten die Situation mit großer Sorge.
Hinsichtlich Wertschöpfung und Beschäftigung ist die Milchproduktion in Österreich der wichtigste landwirtschaftliche Bereich. Bedingt durch Klima und Topographie gibt es in Österreich einen hohen Grünlandanteil. Da Gras nur durch Wiederkäuer verwertet werden kann, ist die Milchwirtschaft nicht nur für Bäuerinnen und Bauern von so großer Bedeutung. Jahrhundertelang war unsere Landwirtschaft durch kleinstrukturierte Betriebe geprägt. Diese Betriebe verfütterten ausschließlich oder hauptsächlich das eigene Gras. Seit einigen Jahrzehnten hat sich das dramatisch gewandelt. Die Weichen wurden von den landwirtschaftlichen Interessensvertretungen, deren Bildungsinstituten und von den Molkereibetrieben auf Wachstum und Intensivierung gestellt. Gleichzeitig werden kleine extensive Betrieb systematisch benachteiligt: durch schlechtere Milchpreise, schlechtere Abholmodalitäten der Milch durch die Molkereien, Benachteiligung bei Förderungen und anteilig höheren Abgaben.
Das Ergebnis sind die massenhafte Aufgabe von Betrieben und der Verlust zigtausender Arbeitsplätze. „Wachstumsbetriebe“ sehen sich mit der Notwendigkeit hoher Investitionen konfrontiert. Eine weitere, direkte Folge der betriebenen Politik ist die Zerstörung der Kulturlandschaft in Österreich. Bei der gewünschten Intensivierung haben Landschaftselemente wie Hecken, Sträucher oder Böschungen keinen Platz. Und: die geforderte Steigerung der Milchleistung ist nur durch den extremen Einsatz von importiertem Kraftfutter möglich. Diese hohe Leistung führt aber auch zu Krankheiten und einer kurzen Lebensdauer der Kühe. Es ist zu beobachten, dass der Anteil an Milch von kranken Kühen immer größer wird. Bei dieser Entwicklung spielen die Zuchtverbände mit ihren Zuchtzielen eine große und unselige Rolle.
Die proklamierte „moderne“ Landwirtschaft führt zu verschuldeten und ausgebrannten Bäuerinnen und Bauern. Aber nicht nur das – die produzierten Überschüsse können nur mit Steuergeldhilfe exportiert werden. Verschmutztes Grundwasser muss ebenfalls mit Steuermitteln saniert werden. Mit Struktur- und Umweltprogrammen wird das „Ausräumen“ der Landschaft (Hecken und Sträucher werden entfernt, Böschungen begradigt,…) angegangen und ist heute vielerorts sichtbar. Die Abwanderung aus dem ländlichen Raum sorgt für zusätzliche Probleme. Dieses System produziert also viele VerliererInnen und nur wenige GewinnerInnen.
Hauptprofiteur dieser Vorgänge ist das System Raiffeisen. Raiffeisen hat seine Vertreter in Landwirtschaftskammern, Genossenschaften, ÖVP-Bauernbund und Parlament fix installiert und stellt die Weichen maßgeblich auf Strukturwandel, Wachstum und Intensivierung. Der kleine autarke Betrieb wird systematisch aus der Produktion gedrängt, damit die großen Betriebe wachsen können. Investitionen werden über die Raiffeisenbank getätigt, die Betriebsmittel über das Raiffeisen Lagerhaus bezogen, die Maschinen über den Raiffeisen Maschinenring genutzt. Jugendorganisationen und Bildungseinrichtungen werden von Raiffeisen gesponsert und wirken im beschriebenen Sinne. Wäre der Milchpreis hoch, investierten die Bauern und Bäuerinnen noch mehr und wiederum profitierten schwarzgelbe Kreditgeber. Ist der Milchpreis niedrig, können die Kredite nicht in der geplanten Laufzeit zurückbezahlt werden und mancher Bauer und Bäuerin steht vor den Scherben der eigenen Existenz. Kreditgeber sind im Allgemeinen gut abgesichert, insbesondere wenn Grund und Boden vorhanden ist und die Bank im Grundbuch steht.
Um aus dieser Falle herauszukommen, braucht es einen Neuanfang, den Bäuerinnen und Bauern alleine nicht schaffen können. Nur mit einem starken und breiten Bündnis zwischen Zivilgesellschaft und Milchbäuerinnen und -bauern kann die österreichische Milchwirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das Milch-Manifest, das wir am 31. März 2016 in Wien vorstellen, soll der Start für ein starkes Bündnis und einen intensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft sein. Die Kernpunkte sind: Fairness gegenüber kleinen und extensiven Betrieben, eine Reform der landwirtschaftlichen Ausbildung, neue Instrumente zur Mengen- bzw. Marktregulierung, Abkehr von der unsinnigen Exportorientierung, weniger Leistung pro Kuh und mehr Gras (und weniger Kraftfutter) für unsere Milchkühe.
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